Heimatliebe. Warum ich nie hier weg wollte.

von Jojo

Ich bin kein Großstadtmensch. Bin kein Dorfkind. 
Ich bin irgendwas dazwischen. 
Ich bin wohl Kleinstadt-Mädchen. 

Ein paar Gedanken zu meiner Heimatliebe und warum ich hier eigentlich nie weg wollte.

Es gibt ja gewisse Entscheidungen im Leben, die wir bewusst oder unbewusst vor uns herschieben.
Eine habe ich bis heute vor mir hergeschoben, ohne zu merken, dass ich mich bereits entschieden habe. Und doch war ich mir nie so wirklich sicher.

Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht doch gehen wollte.
Raus aus der Heimat, rein in die Welt.
In eine Großstadt ziehen.
Mal im Ausland wohnen.
Nur „nachhause“ kommen, wenn einem danach ist.
Woanders hingehen, weil’s einen daheim langweilt. Einödet.

Den Schritt habe ich nie gewagt. Vielleicht wollte ich ihn auch nie wagen.
Und vielleicht wollte ich doch. Aber was spielt das für eine Rolle?
Ich hab’s nicht gemacht.
War nie auf großer Reise. Bin zum Studieren hier geblieben, hab mein Leben hier aufrecht erhalten –  so, wie es immer schon war.
Und trotzdem war es nicht immer dasselbe. Es war nicht immer so, wie es eben immer schon war. Weil sich ja auch hier viel verändert hat – in all den Jahren. Weil ich mich verändert habe. Mich weiterentwickelt habe.
Und mit mir auch meine Wahrnehmung unserer Umgebung.

Was also ist ist wohl, das mich hier hält?

Es ist das „Dazwischen“ – wir bewegen uns irgendwo zwischen Dorfleben und Großstadtansprüchen. Wir sind irgendwie noch nah beieinander und  und dennoch wollen wir – gefühlt – immer mehr.
Mehr Geschäfte, Lokale, mehr Freizeitangebote, kürzere Wege, mehr von dieser Digitalisierung, schnelleres Internet, schnelleres Leben.
Mehr Zeit. 
Weil wir hier zwischendurch noch feststellen, dass wir auch entschleunigen wollen, wenn Oma uns ab und zu daran erinnert, dass „Kartoffeln schälen“ auch ein Lifestyle ist.
Und weil wir gelegentlich noch merken, dass unsere schnellsten sozialen Netzwerke die heimischen Gerüchteküche und der Stammtischtratsch sind, die sich wie Lauffeuer mit mehr als 16 Mbit/s verbreiten können und einen kurzzeitigen Hype auslösen, der jedoch genauso schnell, wie er entfacht ist, wieder verblassen kann.

Versteht mich nicht falsch. Ich liebe große Städte – fühle mich in Köln, Düsseldorf, Hamburg, Berlin wohl, wenn ich dorthin für einige Tage verreise.
Ich mag das Gefühl der Möglichkeiten, die diese Städte bieten. Man kann dort irgendwie alles, muss aber nichts. Man kann, wenn man ins Kino möchte, das Kino nach der Farbe der Sitze auswählen, wenn man so mag. Man kann zum Lernen in städtische Parks gehen, kann jeden Abend aus einer bunten Palette des Abendprogramms wählen und sich auf seiner Anonymität ausruhen, wenn man das will. Man kann alles, muss aber nichts, weil es garantiert jemanden gibt, der es für dich oder statt deiner tut.

Ich mag aber auch das Gefühl der Möglichkeiten, das wir hier haben.
Zwar gilt auch hier: „Man kann alles, muss aber nichts. Aber wenn man es nicht tut, dann ist die Chance geringer, dass es überhaupt getan wird.

Wenn man möchte, dann kann man hier schnell was verändern, gestalten, sich für eine Sache einsetzen. Mann kann schnell was sein und schnell was werden. Hier wird man gekannt und erkannt: Beim Bäcker, im Rewe, in den Schulen, im Wartezimmer.
Und irgendwie steht man auch in der Verantwortung, sich für seine Kleinstadt einzusetzen, dafür zu sorgen, dass nicht alles ausstirbt und sich in die großen Zentren unseres Landes verlagert. Hier sind es eben Leute wie du und ich, die dafür sorgen müssen – dafür sorgen wollen, dass es gelegentlich eine bunte Palette an Abendprogramm gibt. Die sich für den Ausbau grüner Flussufer einsetzen, um dann jahrelang voller Vorfreude und Frustration zugleich auf deren Fertigstellung zu warten.
Die aber auch hin und wieder daran denken, dass man guten Service heimischer Einzelhändler dem Online-Versand vorziehen sollte, selbst wenn man dann mal drei Tage länger auf sein neues Buch warten muss. Und solche, die auf gewisse Art und Weise sehen und wertschätzen, dass unsere Gegend alles andere als grau und trist ist und an Lebensqualität mindestens genauso viel bietet, wie die ganz großen unter den Städten.

Wenn alle nur noch Großtädterinnen und Großstädter sind, wer kümmert sich dann um die kleinen Städte?

Heimatliebe

Ich glaube, dass jeder den Ort liebt, aus dem er kommt. Manche verfluchen ihn zunächst einmal eine gewisse Zeit lang. Und dann, irgendwann, wie von Zauberhand, zieht es sie zurück in ihre Heimat. Dann und wann entschwindet auch mal einer und bleibt ewig in der Ferne hängen, baut sich etwas Neues auf und will nie mehr zurück. Aber ich denke, dass es einen Grund dafür gibt, warum  sehr viele von uns jedenfalls gedanklich und emotional sehr heimatverbunden sind.

Und der heißt: Ursprung. 

Vielleicht ist es ein menschliches Grundbedürfnis, den Ursprung seiner selbst zu kennen. Diejenigen, denen dieses Wissen nicht vergönnt ist, suchen oftmals ihr Leben lang nach ihren Wurzeln und sind rastlos. Heimatlos. Das Gefühl von Heimat – und ich denke, dass man durchaus eine eigene Gefühlskategorie dafür aufmachen kann – ist eines der vertrautesten und schönsten, die wir haben.
Es füllt uns aus und lässt uns ruhig werden.

Heimatliebe: Was ich nun an MEINER Heimat mag

Was ich nun an diesem Ort, dieser Umgebung, diesem Stückchen Land hier so mag?
Nun ja, wo soll ich anfangen?

Ich mag die Wälder und die kleinen Seen der Umgebung.
Ich mag die Lage und die Anbindung unserer Stadt, was es möglich macht, in kurzer Zeit an vielen Orten zu sein.
Ich mag den Wochenmarkt, der sich immer noch wacker schlägt und uns zweimal die Woche mit frischen Blumen und Köstlichkeiten der Region versorgt.
Am liebsten mag ich den Waffelstand.
Ich mag meine Vereine, die mich hier noch tiefer verwurzeln.
Ich mag die vertraue Umgebung unserer Innenstadt und die Leere auf den Straßen, die in der Regel nach 20 Uhr (spätestens) einkehrt.
Ich pflege eine Hassliebe zum erhöhten Verkehrsaufkommen zu gewissen Uhrzeiten- aber hey: Wir sind eben Verkehrsknotenpunkt. Das wurde uns schließlich schon in der Grundschule so eingebleut. 😉
Ich mag den Stammtischtratsch und ich mag die Eisdiele in der Bahnhofstraße.

Heimatliebe. Es gibt viele Gründe, warum ich nie hier weg wollte. Manche lassen sich nicht so einfach in Worte fassen. Manche hingegen gehen leicht über meine Lippen. Festgestellt hab ich jedoch: Es tut gut, über seinen Ursprung nachzudenken. Sich mal ohne Vorurteile und negative Gedanken auf seine Heimatliebe zu besinnen. Sich einfach mal ganz und gar darauf zu konzentrieren.

Was ich an Betzdorf so liebe? Es ist das „Dazwischen“.  Wir bewegen uns irgendwo zwischen  Dorfleben und Großstadtansprüchen. Und genau hier ist meine Heimat und das wird sie immer sein. Zumindest gedanklich und emotional.
Heimatliebe

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heimatliebe-winter-3heimatliebeDieser Beitrag wurde mit dem blogfoster-Award „Blogger-Geschichte-des-Jahres“ ausgezeichnet. Vielen Dank dafür. 

 

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8 Kommentare

Lena 24. Januar 2017 - 12:56

… Wo Kartoffeln schälen ein Lifestyle ist & sich der Klatsch schneller als im Internet verbreitet… grandios! Und ich stimme dir total zu, so als Dorfkind, es hat wunderbare Vorteile! Und ja, Heimat ist ein Gefühl. Ein Gefühl tiefer Verwurzelung. Ich kann zuhause in meinem 300-Seelen-Dorf in Rheinland-Pfalz auch am besten die Seele baumeln lassen ❤

Reply
Jojo 24. Januar 2017 - 15:24

Hihi, Danke Lena! Kartoffeln schälen ist auf jeden Fall ein Lifestyle. Ein ganz großer! <3

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Andrea 30. März 2017 - 14:26

Das ist ja echt ein schöner Artikel, Glückwunsch zum Preis!

Reply
Jojo 30. März 2017 - 15:54

Danke, wie lieb von dir! Und danke für die Glückwünsche! Freue mich sehr.

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Nancy 1. April 2017 - 22:56

Hallo Jojo,
Glückwunsch zum Preis! Blogger verdienen viel mehr Wertschätzung in der Gesellschaft.
Liebe Grüße
Nancy 🙂

Reply
Jojo 2. April 2017 - 8:39

Das ist ganz lieb von dir und ich sehe es ähnlich! Lieben Dank 🙂

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Dein Blog, Deine Geschichte: Die Finalisten vom Bloggerwettbewerb 23. Mai 2017 - 15:19

[…] Jessica von jolimanoli […]

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Anika 13. September 2017 - 14:21

So ein schöner Artikel! Ich bin selbst ein totales Kind vom Land und derzeit über die Sommerferien wieder einmal Zuhause bei Mama. Gestern erst haben wir zusammen Äpfel gesammelt und Apfelmus gemacht – einfache aber unvergessliche Dinge, die man nur hier so erleben kann;)
Liebe Grüße, Anika von http://www.sparksandmemories.com

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