Möglicherweise ein bisschen und teilweise vielleicht, oder? – Das sind wir in 7 Worten.
Wir sind Schwämme.
Schwämme, die saugen, mit unglaublichem Volumen jede Pore füllen und solche, die, wenn man sie auswringt, nicht gleich alles auf einmal verlieren. Eine gewisse Zeit nachtröpfelnd, überall ein bisschen was verteilen, von dem, was wir wollen, hoffen, können oder was wir einst zu können glaubten.
Und wenn der Plan nicht funktioniert, dann wringt man uns weiter aus, bis wir schließlich zum Trocknen auf der Heizung landen, bis wir wieder völlig neutral und ohne Haltung zu irgendwas dastehen, bis wir wieder da sind, wo wir schon einmal waren. Völlig leer, ausgelaugt, vertrocknet und ohne den geringsten Schimmer.
Hoffnungsschimmer.
Ahnungs-Schimmer.
Schimmer-Schimmer.
Die Tücke an den Schwämmen ist jedoch, dass sie niemals aufhören aufzusaugen, was ich Interpretationsquellen nenne. Immer auf der Suche nach neuen Wünschen, Träumen und Plänen, halten wir unsere Poren stets weit geöffnet, immer dazu bereit, Neues aufzunehmen.
Und schließlich beginnt das Spiel von vorn:
Wir füllen, mit unglaublichem Volumen jede Pore und wenn man uns dann auswringt, verteilen wir überall ein bisschen was von dem, was wir wollen, hoffen, können oder was wir einst zu können glaubten.
Eine weitere bekannte Eigenschaft der Schwämme ist die Fähigkeit, in Aussagen ebenfalls ziemlich schwammig zu bleiben. Dabei gilt grundsätzlich: Je mehr Interpretationsmöglichkeiten sie uns bieten, desto besser. Ein Schwamm legt sich nicht gerne fest. Er bleibt gerne allgemein und verlässt sich auf die Kunst des Wortverdrehens.
Die haben wir nämlich perfektioniert: Worte so geschickt biegen und es anschließend als Gesagtes verkaufen, sodass wir nicht einmal wir selbst mehr wissen, was wir ursprünglich wollten, hofften, konnten oder einst zu können glaubten.
Das mag ziemlich verwirrend klingen.
Aber genauso verwirrend wie es klingt, ist es auch.
Möglicherweise ein bisschen und teilweise vielleicht, oder?
Manchmal frag ich mich, wann wir damit angefangen haben, uns selbst nicht mehr zu verstehen.
Ich frage mich, warum es so schwierig ist, an bestimmten Dingen festzuhalten. Nicht vom Kurs abzuweichen. Nicht auszuschweifen. Sich vom Wesentlichen nicht ablenken zu lassen.
Und ich frage mich, warum wir jeden unserer Sätze so gestalten, dass er Potenzial für weitere Metaphern und andere Denkweisen bietet, die wir nachträglich dort hinein montieren können.
Wir relativieren.
Wir diskutieren.
Wir depersonifizieren.
Wir phantasieren.
Aber was wir völlig außer Acht lassen ist das Manifestieren. Wir manifestieren uns nicht. Geben uns nicht zu erkennen. Offenbaren uns nicht mal uns selbst.
Weil wir durch unser Dasein als Schwämme viel zu sehr damit beschäftigt sind mit dem Aufsaugen von dem, was ich Interpreationsquellen nenne.
Weil wir uns dann, wenn der Plan nicht funktioniert, auswringen lassen und wieder austrocknen, während wir eine gewisse Zeit noch nachtröpfeln und überall etwas von dem verteilen, was wir ursprünglich wollten, hofften, konnten, oder zu können glaubten.
Randnotiz
Dieser Text ist entstanden, um das allgemeine Gefühl festzuhalten, welches ich bei mir oder bei vielen meiner Freunde beobachten kann. Das soll nicht heißen, dass ich hier zuhause depressiv in der Ecke sitze und absolut nicht weiß, was ich will oder wohin ich will. Im Gegenteil: Ich habe sogar zum ersten Mal das Gefühl, dass mein Leben sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, die ich als für mich „passend“ empfinde. Doch von Zeit zu Zeit bemerke ich bei mir oben beschriebenes Verhalten. Erkenne meine „schwammigen“ Eigenschaften. Meinen Drang zur Relativierung. Und genau dieses Verhalten beobachte ich auch bei gleichaltrigen Freunden. Warum ich es grundsätzlich absolut nicht schlimm finde, seine Zelte hin und wieder abzureißen und sich neue Lebenspläne zurecht zu legen, habe ich schon in diesem Beitrag beschrieben. Aber ich finde Selbstreflexion zunehmend wichtiger. Vielleicht ist das ein Resultat meines Lehramtsstudiums, in dem man ständig zur Portfolioarbeit oder Führung von Selbstreflexionsbüchern gezwungen wird. I don’t know. Fest steht für mich: Es ist ein Lernprozess. Sich selbst zu reflektieren ist wahrlich nicht immer einfach. Schließlich sind wir – wie die echten, lebenden Schwämme 😉 – viel komplexer, als man zuerst meinen sollte.
Wann immer mein Freund die Floskeln „ein bisschen“, „teilweise“ oder „vielleicht“ an einen Satz zu hängen wagt, bekommt er von mir einen Rüffel. „Warum kannst du die Aussage nicht so stehen lassen, wie du sie meinst? Hör‘ doch auf, ständig zu relativieren. So wird ja niemand schlau draus!“, bekommt er dann zu hören. Einen Tag später stelle ich während der Gespräche mit anderen wiederum fest, dass ich diejenige bin, die durch geschicktes Wortverdrehen und das Montieren nichts- oder vielsagender Floskeln (je nach dem) glänzt. Ich ärgere mich zunächst darüber. Denn eigentlich will ich nicht diejenige sein, die daher kommt, als wisse sie eigentlich nicht, was sie will. Und, weil das Gefühl schrecklich ist. Hin und her gerissen zu sein, sich nicht festlegen zu können und ständig umgeben zu sein von Inspiration, die zu nichts führt. Weil wir nicht daran festhalten können. Und alles, was wir eigentlich zu wollen glauben, so sehr relativieren, dass wir es am Ende gar nicht mehr wollen. Oder zumindest glauben, dass wir nicht mehr wollen.
Nun ja.
Was ist nun mein Appell, meine Kernaussage, meine Botschaft? – Schließlich braucht das jeder Text, sagt man.
Ich würde meinen, dass ich möglicherweise und vielleicht damit sagen will, dass es nicht einfach ist, kein Schwamm zu sein. Und dass es nicht schlimm ist, wenn es uns mal wieder so geht, dass wir vor lauter Schwämmen die Badewanne nicht mehr sehen, oder so. Und wenn wir vertrocknet auf der Heizung liegen, weil uns irgendjemand oder wir selbst mal wieder ausgewrungen und uns somit einen Strich durch die Poren gemacht hat, dann ist auch das okay, weil wir ja genau wissen, dass sich dieser Zyklus beständig wiederholen wird.
Ich dachte lange Zeit, dass es nicht gut ist, ein Schwamm zu sein. Dass Schwämme gewissermaßen gesellschaftlich nicht anerkannt werden.
Bis mir klar wurde, dass die Zukunft unserer Gesellschaft zu 80% aus solchen Schwämmen bestehen wird. Weil wir uns da alle recht ähnlich sind.
Und dann kommt es doch nur noch drauf an, zu kapieren, dass es okay ist, eine Zeit lang (oder sogar sein Leben lang) in dieser endlosen Schwamm-Dauerschleife zu leben.
Aufnehmen – Tröpfeln – Auswringen – Vertrocknen – Aufnehmen – Tröpfeln – Auswringen – Vertrocknen – Aufnehmen…
Kleid, Schuhe, Schal, Tasche, Schmuck: Fashion Now Freudenberg
Fotos: Anna Heupel
2 Kommentare
Kann es sein, dass dir wirklich alles steht? Oder du hast ein gutes Händchen für Mode 🙂
Zudem hast du da einen wunderschönen Text geschrieben. Wahre Worte!
Deswegen liebe ich deinen Blog so sehr 🙂
Xx Sarah von
http://www.wonderlandblog.de
Wie lieb von dir Sarah! 🙂